STATEMENT - BERLIN, 06.01.2022 Corona-Pandemie zeigt Krankenhaus-Reformbedarf

GKV-Spitzenverband

Stefanie Stoff-Ahnis

„Die Corona-Pandemie hat nochmal dramatisch vor Augen geführt, dass die Krankenhausstrukturen reformbedürftig sind: Wer schwer krank ist, braucht eine spezialisierte Versorgung und ist dafür auch bereit, weitere Wege in Kauf zu nehmen“, so Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband, im Gespräch mit dem Tagesspiegel Background.

Versorgungsnotwendigkeiten in den Blick nehmen

Auch wenn schon vor der Coronakrise jedes fünfte Krankenhausbett nicht belegt war, und während der Pandemie in Kleinkrankenhäusern sogar 40 Prozent der Betten leer standen, sei der Reformbedarf mit einer hochgerechneten Zahl zur Krankenhausanzahl nicht ansatzweise genug beschrieben, wie Stoff-Ahnis im Tagesspiegel-Interview erläutert. Ihre Sorge sei, dass dadurch konstruktive Debatten erschwert werden und darüber gestritten werde, ob X oder Y Kliniken genug seien, dabei müsste doch auf die Versorgungsnotwendigkeiten geschaut werden. „Das hängt mit unterschiedlichen Gegebenheiten und Zielsetzungen zusammen. Einerseits haben wir bedarfsgerechte Versorgung auf dem Land zu sichern, andererseits brauchen wir mehr Spezialisierung und eine Konzentration bestimmter Leistungen mit hoher Qualität. Und in Ballungsräumen haben wir natürlich auch Überversorgung, die es abzubauen gilt“, so Stoff-Ahnis.

„Goldene Krankenhausfinanzierung“

Angesprochen auf die Unterstützung der Krankenhäuser in der Corona-Pandemie bezieht sie sich auf die 2020er Zahlen, da die Werte für das vergangene Jahr noch nicht vorliegen: „Im Jahr 2020 kamen die Kliniken auf Mehrerlöse von 15 Prozent – bei gleichzeitigem Fallrückgang um 13 Prozent. Der Gesamterlös aller Krankenhäuser betrug 92,5 Milliarden Euro, das waren über 12 Milliarden mehr als 2019. Ein exorbitanter Anstieg, über den man nur sagen kann: 2020 war das goldene Jahr der Krankenhausfinanzierung“, so Stoff-Ahnis zum Tagesspiegel.

Fallpauschalen bringen notwendige Transparenz

Mit Blick auf den Koalitionsvertrag begrüßte Stoff-Ahnis, dass das Grundgerüst der Fallpauschalen erhalten bleibt. Denn „sie bringen Transparenz in das Versorgungsgeschehen und ermöglichen damit Qualitätssicherung. Ein weiterer Vorteil ist schlicht, dass auf diese Weise begrenzte Mittel gerecht verteilt werden können und die Krankenhäuser sich einem Wettbewerb untereinander zu stellen haben. Allerdings hat sich die alleinige Leistungsorientierung in der Vergangenheit nicht bewährt.“ Eine Ursache sei dafür die fehlende Investitionsbereitschaft der Länder gewesen. Dadurch habe es fragwürdige Querfinanzierungen gegeben, das allein für die Patientenversorgung bestimmte Geld sei auch in Baumaßnahmen und Anschaffungen geflossen.

„Statt genug Pflegekräfte einzustellen wurde vom Krankenhausmanagement Geld umgelenkt, um zum Beispiel das Dach neu zu decken oder Gewinne zu erzielen. Aber auch die notwendige Vorhaltung bestimmter Leistungen ist in den Fallpauschalen nicht genügend abgebildet. Insofern freuen wir uns über die Ankündigung im Koalitionsvertrag, das bisherige System um erlösunabhängige Vorhaltepauschalen zu ergänzen“, wie Stoff-Ahnis im Gespräch mit dem Tagesspiegel betont.

Offene Forderung: Mehrwertsteuersenkung für Medikamente

„Es klingt doch wie ein schlechter Witz“, so Stoff-Ahnis zum Tagesspiegel, „dass für Schnittblumen oder Ölgemälde lediglich der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent fällig ist, aber die Krankenkassen für Blutverdünner und Krebsmedikamente mit 19 Prozent mehr als doppelt so hohe Steuern bezahlen müssen. Eine entsprechende Anpassung würde die Solidargemeinschaft um über fünf Milliarden Euro pro Jahr entlasten. Entsprechend enttäuscht sind wir, dass die Regierenden diesen Schritt nun doch nicht gegangen sind.“

Mit Blick auf die im Koalitionsvertrag angekündigte Neuregelung zum AMNOG sagte sie zum Tagesspiegel: „Natürlich hätten wir es besser gefunden, wenn der gemeinsam verhandelte Erstattungsbetrag rückwirkend bereits ab dem ersten Tag angesetzt würde. Aber auch die Sieben-Monats-Lösung ist ein wichtiger Schritt. Sie wird zu einer Ersparnis von ungefähr 110 Millionen Euro im Jahr führen.“

Mit Blick auf die eher grundsätzliche Ankündigung der Koalitionäre, dass AMNOG weiterzuentwickeln, verwies sie beispielhaft auf Medikamente gegen seltene Krankheiten. Hier gilt bisher, dass die Hersteller für neue Mittel unter einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro gar keinen Zusatznutzen nachweisen müssen. Diese Regelung sollte, so Stoff-Ahnis, gestrichen werden. Denn wenn „die Sonderregelung für Orphan Drugs wegfielen, hätten die Hersteller endlich einen Anreiz, auch zu diesen Arzneimitteln Studien in Auftrag zu geben und Daten vorzulegen. Für die Patientinnen und Patienten bliebe es dann nicht länger im Vagen, ob die neuen Wirkstoffe tatsächlich den versprochenen Zusatznutzen bringen. Und die Beitragszahlenden würden ebenfalls profitieren, die Ersparnis läge bei rund 350 Millionen Euro im Jahr“, so Stoff-Ahnis.

Mehrausgaben ohne Verbesserung der Versorgung

Angesprochen auf die im Koalitionsvertrag angesprochene Änderung bei der Honorierung von Allgemeinärzten stellte sie klar, dass sie dies „ganz klar“ ablehne. Im Koalitionsvertrag sei dieser Vorstoß im Kontext einer Stärkung des ländlichen Raums präsentiert wurden, wo diese Änderung „de facto“ gar nichts bringen würde. Denn aufgrund der Honorarsystematik biete sich den Kassenärztlichen Vereinigungen schon jetzt die Möglichkeit, Allgemeinärzte insbesondere in strukturschwachen, ländlichen Regionen zu fördern – und ganz überwiegend werde das auch so praktiziert. Die Budgetierung spiele für diese Mediziner gar keine Rolle.

Profitieren würden lediglich Allgemeinärzte in Ballungszentren, denn sie bekämen dadurch höhere Honorare. „Allerdings“, so Stoff-Ahnis im Gespräch mit dem Tagesspiegel, „wäre das wenig sachgerecht. Im bundesweiten Durchschnitt beträgt der Reinertrag je Inhaber einer Praxis für Allgemeinmedizin laut Statistischem Bundesamt von 2019 rund 188.000 Euro im Jahr. Das zeigt: Eine bessere Vergütung der Ärztinnen und Ärzte ist nicht unser dringlichstes Problem. Wir würden rund 260 Millionen Euro aus Beitragsgeldern für höhere Arzthonorare ausgeben, ohne dass sich die Versorgung für die Patientinnen und Patienten in irgendeiner Weise verbessert.“

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