Mengenentwicklung und Mengensteuerung

Kontinuierliche Mengenausweitungen von jährlich ca. drei Prozent und überhöhte Preise führten dazu, dass seit 2005 die Krankenhausausgaben um 27 Prozent auf ca. 62 Mrd. Euro in 2012 gestiegen sind. Die bestehenden Ausgabenbegrenzungen für Krankenhäuser haben die Ausgabendynamik im Krankenhausbereich kaum verlangsamt. Selbst bei reduzierter Grundlohnrate als Preisgrenze und Mehrleistungsabschlägen in 2011 und 2012 gab es einen Ausgabenzuwachs von jährlich ca. 1,8 Mrd. Euro.

Die Morbiditätsentwicklung, der technische Fortschritt und angebotsinduzierte Mengenentwicklungen werden auch im DRG-System voll durch die Krankenkassen finanziert. Ursache der starken Ausgabendynamik ist im Wesentlichen der kontinuierlich hohe Zuwachs an Leistungsmengen (Casemix). Durchschnittlich stieg der Casemix seit Einführung des DRG-Systems um ca. drei Prozent jährlich. Die DRG-Begleitforschung zeigt, dass im Untersuchungszeitraum 2008 bis 2010 lediglich ein Drittel der jährlichen Leistungssteigerungen auf die Alterung der Bevölkerung zurückzuführen ist.

Um der „Mengenproblematik“ begegnen zu können, müssen aus Sicht der Krankenkassen Anreize minimiert werden, die dazu führen, dass Krankenhäuser medizinisch nicht notwendige Leistungen erbringen.

Vor dem Hintergrund der Diskussion um mögliche Instrumente zur Begrenzung der Mengendynamik hat der GKV-Spitzenverband Anfang des Jahres 2012 das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) beauftragt, die „Mengenentwicklung und Mengensteuerung stationärer Leistungen“ zu untersuchen. Beteiligt waren auch Herr Prof. Wasem (Universität Duisburg-Essen) und Herr Prof. Felder (Universität Basel).

Das RWI-Gutachten bestätigt die Ergebnisse der DRG-Begleitforschung, dass ein großer Teil der Leistungssteigerungen nicht durch die demografische Entwicklung begründet werden kann. Vieles deutet darauf hin, dass Leistungserbringer aufgrund ökonomischer Anreize medizinisch nicht notwendige Leistungen erbringen. Darüber hinaus bestätigt das Gutachten anhand der Leistungsdaten der Jahre 2006 bis 2010 die These, dass auch auf dem Krankenhausmarkt eine positive Angebotsfunktion gilt. Das bedeutet: Höhere Preise (Landesbasisfallwerte) setzen einen ökonomisch nachvollziehbaren Anreiz für die Krankenhäuser, Mehrleistungen zu erbringen. Ein wesentlicher Grund für die teilweise problematische Mengen- und Ausgabenentwicklung ist daher ein überhöhtes Preisniveau für stationäre Leistungen.

Neben der empirischen Aufarbeitung der Ursachen der Mengenentwicklung im ersten Teil beleuchtet das Gutachten im zweiten Teil unterschiedliche Lösungsoptionen, um der Mengendynamik effektiv begegnen zu können.

Im Rahmen einer Veranstaltung mit dem Titel „Mengenentwicklung im Krankenhausbereich - Analysen und Handlungsoptionen im internationalen Vergleich“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) wurden im April 2013 im internationalen Kontext die Entwicklung der Leistungsmengen im Krankenhaus diskutiert und die aktuelle Studie der OECD “Managing hospital volumes – Germany and experiences from OECD-countries” vorgestellt.

Die OECD-Studie zeigt auf, dass die Leistungserbringung in Deutschland im internationalen Vergleich deutlich überdurchschnittlich ist und in vielen Leistungsbereichen mengenmäßig kaum nachvollziehbare Spitzenwerte erzielt. So ist Deutschland beispielsweise bei der Anzahl an Hüftoperationen OECD-weit auf Rang 1 wiederzufinden. Die OECD-Studie bescheinigt dem deutschen Krankenhausfinanzierungssystem Handlungsbedarf im Bereich der Leistungsmengensteuerung und sieht insbesondere Chancen in einer intensiveren Nutzung von Qualitätsdaten.

In verschiedenen Ländern sind bereits Maßnahmen zur Mengensteuerung ergriffen worden. Möglichkeiten zur Begegnung ökonomischer Fehlanreize wurden am Beispiel ausgewählter OECD-Staaten auf der Veranstaltung vorgestellt.

Mit dem Inkrafttreten des Psych-Entgeltgesetzes am 01. August 2012 wurde in § 17b Abs. 9 KHG die Vergabe eines gemeinsamen Forschungsauftrages zur Mengenentwicklung im stationären Bereich durch GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) verankert.

Ziel des Forschungsauftrages ist es, die Leistungsentwicklung und bestehende Einflussgrößen zu untersuchen sowie gemeinsame Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Lösungsoptionen sollen daher sowohl hinsichtlich der Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung als auch hinsichtlich finanzieller Auswirkungen bewertet werden. Insbesondere soll eine Prüfung von Alternativen zur Berücksichtigung zusätzlicher Leistungen beim Landesbasisfallwert erfolgen. Darüber hinaus sind Möglichkeiten der Stärkung qualitätsorientierter Komponenten in der Leistungssteuerung zu entwickeln.

Die Vergabe des Forschungsauftrages erfolgte Mitte Juli 2013. Der Zuschlag wurde an das Hamburg Centre for Health Economics (hche) der Universität Hamburg erteilt. Die Projektleitung hat Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Inhaber des Lehrstuhls Management im Gesundheitswesen der Universität Hamburg, inne. Der Forschungsauftrag wurde vertragsgemäß in Kooperation mit dem Fachgebiet Management im Gesundheitswesen der Technischen Universität Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. med. Reinhard Busse durchgeführt. Unter der Leitung dieser Professoren hat ein interdisziplinäres Team aus Gesundheitsökonomen, Statistikern und Medizinern die Leistungsmengenentwicklung in Deutschland untersucht.

Das Gutachten wurde am 10. Juli 2014 veröffentlicht.

Mit dem Gutachten liegt eine umfangreiche Analyse der Leistungs- und Mengenentwicklung und der bestehenden Einflussgrößen für die Jahre 2007 bis 2012 vor. Zunächst wurde die Mengenentwicklung in den internationalen Kontext eingeordnet. Empirisch wurden Veränderungen der Nachfrage und des Angebots von Krankenhausleistungen untersucht. Zudem wurden detaillierte Lösungsvorschläge im Bereich der Mengenentwicklung und der qualitätsorientierten Vergütung und Versorgungssteuerung erarbeitet. Auf der Angebotsseite zeigt das Gutachten, dass ein kausaler Zusammenhang im Sinne von „Der Preis macht die Menge“ bestätigt wurde. So betont das Gutachten beispielsweise auf Seite 12, 4. Absatz:

„Betrachtet man Veränderungen des Angebots von Krankenhäusern, so zeigt sich, dass Krankenhäuser ihre Fallzahlen kausal als Antwort auf Veränderungen der Deckungsbei-träge verändern.“

Es finden sich darüber hinaus zahlreiche Hinweise, dass angebotsseitige Faktoren bei der Mengenentwicklung eine wesentliche Rolle spielen.

Im Rahmen der empirischen Analyse wurde zudem der demografische Effekt auf die Mengenentwicklung differenziert untersucht. Es zeigt sich, dass die Alterung der Bevöl-kerung fallzahlsteigernd wirkt. Die altersspezifische Morbidität und Mortalität sinkt je-doch, was einen fallzahlsenkenden Effekt zur Folge hat. Insgesamt ergeben sich somit gegenläufige Effekte, die in Summe dazu führen, dass die Mengenausweitung nicht nachfrageseitig erklärt werden kann. Die Ergebnisse bereits vorliegender Studien (DRG-Begleitforschung 2013, RWI-Gutachten zur Mengenentwicklung 2012) werden damit bestätigt.

In der Gesamtsicht wird die Zielrichtung der Vorschläge des GKV-Spitzenverbandes zur Krankenhausreform („14 Positionen für 2014“) bestätigt. Angesichts der Mengenent-wicklung ist aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes eine Reform der Preissteuerung im Krankenhausbereich überfällig.

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